So fing vor 25 Jahren alles an
Während ich diese Zeilen tippe, sitzen wir im Auto, auf dem Weg von Dresden nach Hause, und weil Ralf fährt, habe ich Zeit, etwas zu schreiben. Es ist Sonntag, der 27. April 2025. Heute Morgen bin ich den Lichtenauer Halbmarathon gelaufen, von Pirna nach Dresden, fast immer an der Elbe entlang. Landschaftlich ist der Lauf kaum zu toppen, vor allem, wenn das Wetter so herrlich wie heute ist.
Ralf und ich haben die Gelegenheit genutzt und ein schönes, entspanntes Reise-Wochenende im VW-Bus daraus gemacht. In unserem Auto können wir schlafen und kochen, es gibt eine Gasheizung und einen Kühlschrank – es ist klein, aber sehr gemütlich, und so können wir gut spontan unterwegs sein.
Dabei hatten wir auch etwas zu feiern. Vorgestern, der 25. April 2025, war für uns ein ganz besonderer Tag. Denn da war es genau ein Vierteljahrhundert her, dass wir uns zum ersten Mal begegnet sind. Ein Tag, der unsere beiden Leben komplett verändert hat. Und jetzt, wenn wir zurückblicken, haben wir einen reichen Schatz an Erinnerungen: an Orte, an denen wir gemeinsam waren, an Menschen, die uns eine zeitlang begleitet haben oder die immer noch Teil unseres Lebens sind, an lustige und traurige Erlebnisse, an winzige Begebenheiten und an große Veränderungen.

Ein Tag voller Sonne – der 25. April 2000
Der 25. April 2000 war in Hamburg ein sonniger Dienstag. Damals arbeitete ich im Springer-Verlag für ein neues Zeitungsprojekt. Unsere Redaktion war zwar provisorisch, aber trotzdem grandios untergebracht. Ganz oben im Springerhaus mitten in Hamburg, mit einer sensationellen Aussicht auf die Stadt. Und nebenan hatten die Caterer ihre Räume und luden oft das, was auf allen möglichen hausinternen Veranstaltungen an Essen übrig blieb, bei uns ab. Es gab also dauernd Häppchen und Brötchen und Törtchen. Darüber hinaus war die Stimmung in der Redaktion gut. Und so konnte ich tatsächlich an besagtem Dienstag etwas früher Feierabend machen als sonst.
… und ich bin irgendwie in sein Leben gekracht
Deshalb schaffte ich es sogar noch ein wenig vor der Zeit zur allerersten Theoriestunde für den Sportbootführerschein Binnen in der Segelschule Prüsse an der Alster. Los ging’s um 19 Uhr, das weiß ich noch. Und auch, dass ich zu den späteren Terminen oft in allerletzter Sekunde in den Unterrichtsraum gestürmt bin. Oder geknallt, wie man’s nimmt. Damals trug ich noch öfter Schuhe mit Absätzen. Und Ralf hat noch heute seinen Spaß daran, zu erzählen, wie ich immer in den Raum gepoltert bin. Das war wohl tatsächlich so: Er, der ruhige, sanfte Ralf, ist der Engel, der in mein Leben geschwebt ist. Und ich bin irgendwie in seins reingekracht.
Eigentlich ist Sonja schuld. Sie weiß aber nichts davon
Unser Theorielehrer hieß Christoph. Er erklärte den recht trockenen Stoff für den Bootsführerschein für Binnengewässer immerhin so, dass man nicht dabei eingeschlafen ist. Ich saß neben einer Frau namens Sylvia, die ebenfalls allein im Kurs war. Ich selber wollte ursprünglich gar nicht alleine kommen. Eine Kollegin aus der Redaktion, sie hieß Sonja, hatte mich gefragt, ob ich Lust hätte, mit ihr diesen Segelkurs zu machen. Und da das Segeln ohnehin noch auf meiner Bucket-Liste stand (Bucket-Liste – ich weiß gar nicht, ob dieser Ausdruck vor 25 Jahren schon verwendet wurde), habe ich zugesagt, und wir haben uns zusammen angemeldet.
Dann aber hat Sonja sich wieder abgemeldet, weil ihr Freund nur in der Zeit Urlaub nehmen konnte, in der der Kurs lag. Und sie wollte gern mit ihm wegfahren und auf einen späteren Kurs umbuchen. Sie fragte mich, ob ich auch umbuchen würde. Ich wollte aber nicht – jetzt war ich angemeldet und freute mich darauf, also würde ich diesen Kurs machen.
Einfach einen netten Mann ganz kurz kennengelernt
Und so geschah es dann am Ende des ersten Kursabends, dass dort vor den Fotos an der Wand ein hübscher, sympathischer Mann stand – dunkle Locken mit silbernen Fäden darin, groß, schlank, schmale Brille – und sich mit gerunzelter Stirn die Bilder anschaute. Ich stellte mich daneben und guckte auch. Da kam es zu dem kleinen Dialog, den ich auch in dem Beitrag „Über mich“ geschildert habe, als dieser Blog noch neu war.
Er: Ich weiß ja nicht, ob ich hier richtig bin.
Ich: Wieso nicht?
Er: Wenn ich mir die Wellen so angucke. Ich werde immer seekrank. (Die „Wellen“ auf den Fotos waren höchstens 10 Zentimeter hoch).
Ich (ganz bestimmt mit einem Schmunzeln, zumindest innerlich): Warum machst du das denn dann?
Das war er also, der Moment, der mich in ein neues Leben katapultierte. Nicht, dass ich das damals gemerkt hätte. An dem Abend habe ich einfach einen netten Mann ganz kurz kennengelernt, ein paar heitere Worte gewechselt, und bin dann gut gelaunt nach Hause geradelt. Immer an der Alster lang nach Winterhude, wo ich damals eine Altbauwohnung gemietet hatte. Und Ralf, der nette Mann mit den Silberfäden im Haar, stieg ebenfalls auf sein Fahrrad und fuhr nach Eimsbüttel. Wo er eine Altbauwohnung gemietet hatte.
Am darauffolgenden Kursabend saßen wir nebeneinander. An Ralfs anderer Seite saß sein Arbeitskollege Helge, mit dem er sich zum Kurs angemeldet hatte. Da wir alle aufgefordert wurden, uns einen Segelpartner oder eine Partnerin für die Segelstunden ohne Lehrer zu suchen, verabredeten Ralf und ich, zusammen zu segeln. Und weil Helge ja auch noch da war, segelte Ralf auch noch mit Helge. Er segelte also doppelt, gewissermaßen.

Es kann schön sein, einen Menschen zu vermissen
Nun sahen wir uns also jeden Dienstagabend im Kurs und ab und zu zum Segeln. Einmal sagte mir Ralf, dass er am folgenden Dienstag dienstlich unterwegs sei und nicht kommen könne. Da habe ich ihn vermisst, und irgendwie war es ein schönes Gefühl, einen anderen Menschen zu vermissen, der ja dann das nächste Mal wieder da sein würde.
Da setzten wir uns nach dem Theoriekurs noch zu einem Rotwein auf die Terrasse des Segelschul-Cafés. Wir stellten fest, dass wir beide eine Schwäche für italienisches Essen und italienischen Wein haben. Und so verabredeten wir uns zu einem Kinoabend mit anschließendem Essen auf dem italienischen Restaurantschiff auf der Binnenalster.
Wir sparten uns füreinander auf
Wir sahen „Verlorene Liebensmüh“ , eine Shakespeare-Komödie, umgesetzt als Musical im Stil der 30er oder 40er Jahre. Und das Essen war super. Es wurde ein sehr schöner Abend. Als wir dann spät aus dem Restaurant-Schiff kamen, gaben wir uns ein Küsschen auf die Wange, stiegen jeder aufs Fahrrad und radelten in unterschiedliche Richtungen nach Hause. Wir ließen uns Zeit. Wir sparten uns füreinander auf, ohne darüber zu sprechen.
Dann kamen Ilkas Geburtstag und Thomas’ Hochzeit. Die beiden Ereignisse hatten nichts miteinander zu tun, schon aber mit dieser leicht schwebenden Lebensphase, in der Ralf und ich uns gerade befanden. Ilka war Ralfs Nachbarin, und sie hatte an einem Dienstag Geburtstag. Als wir uns im Theoriekurs in der Segelschule trafen, sagte Ralf mir, dass er leider heute Abend keinen Wein mit mir trinken könne, weil er nach dem Kurs zu Ilkas Geburtstagsfeier müsse.
Ich fand das schade, aber nun ja, Geburtstag ist Geburtstag. Ralf fand das auch schade, und außerdem fand er, dass ich ja einfach zur Geburtstagsfeier mitkommen könne. Meinen Einwand, dass ich Ilka ja gar nicht kenne und nicht einfach bei ihrer Feier auftauchen könne, ließ er nicht gelten. Also radelten wir zusammen nach Eimsbüttel und gingen auf Ilkas Party.
In der Wohnung will ich die Seele des Bewohners spüren
Es wurde ein lustiger Abend, den Ralf und ich später in Ralfs Wohnzimmer fortsetzten. Ich war zum ersten Mal in seiner Wohnung, und sie gefiel mir gut. Ich habe mich sofort bei ihm zu Hause gefühlt. Das war für mich enorm wichtig. In der Wohnung muss ich die Seele des Bewohners spüren können, es muss Herz drinstecken und Wärme und Humor. Ein Mann, dessen Wohnung herz- oder lieblos, spießig oder langweilig, schmutzig oder schal auf mich wirkte, kam für mich nicht in Frage.
Wir saßen zusammen und redeten bis etwa halb drei nachts. Am nächsten Tag mussten wir beide arbeiten, also beide auch früh raus. Ralf sagte, ich könne ja auch bei ihm schlafen, aber das wollte ich nicht. Es wäre nicht schön gewesen am nächsten Morgen: keine frische Wäsche, keine Zahnbürste, keine Creme, keine Flüssigkeit für meine Kontaktlinsen, und dann noch unausgeschlafen zur Arbeit radeln. Das, so fand ich, waren keine guten Voraussetzungen für die allererste gemeinsame Nacht. Also bestellte ich mir ein Taxi, der Fahrer lud mein Rad in den Kofferraum, und gegen halb vier oder vier war ich in meinem eigenen Bett.
Hochzeitsgeschenk ohne Hochzeit
Dann fuhr ich am Wochenende nach Remscheid, denn mein Cousin Thomas heiratete. Auf der Feier gab es ein paar Bemerkungen dazu, dass ich, 33 Jahre alt, nun schon seit einiger Zeit Single war. Oma Hilde sagte: „Ich mache mir Sorgen um dich, so ganz ohne Mann. Du musst doch bald mal einen Mann haben.“
Oma Hilde war schon ungeduldig gewesen, als ich noch mit meinem Freund Olaf zusammen gewesen war. Das war eine zwölf Jahre dauernde On-Off-Beziehung (gab es diesen Ausdruck damals überhaupt schon?). Irgendwann fragte die Oma Olaf und mich, wann wir denn nun endlich heiraten würden. Sie warte schon so lange auf unsere Hochzeit. Wir sagten ihr, dass wir nicht vorhätten zu heiraten. Da war sie fast ein bisschen beleidigt und sagte: „Wenn ihr nicht wollt, dann eben nicht. Dann kriegt ihr eben jetzt euer Hochzeitsgeschenk. Mir reicht’s mit der Warterei.“ Sprach’s, verließ das Wohnzimmer und kehrte mit einem kleinen Koffer zurück. Darin: ein vollständiges Besteck, Edelstahl mit Goldintarsien, zwölfteilig mit wirklich allem, was man so braucht.
So kam es, dass Ralf und ich heute unser Essen mit dem Hochzeitsgeschenk für Olaf und mich löffeln – eine Hochzeit, zu der es nie kam, denn bald darauf war die On-Off-Beziehung nur noch off, und Olaf und ich blieben einfach Freunde. So was gibt’s auch.

Bloß keine Spekulationen!
Auf Thomas’ Hochzeitsfeier habe ich beschlossen, Oma Hilde nichts von dem netten Mann mit den Silberfäden im Haar zu erzählen. Es war ja noch nichts passiert. Ich wollte keine Spekulationen und keine Nachfragen.
Oma Hilde hatte mir Ende der 90-er Jahre übrigens mal aus der Hand gelesen und festgestellt, dass ich eine lebenslange Liebe haben würde. Ich weiß nicht, wie sie darauf kam. Wahrscheinlich hatte sie etwas über die Handlinien gelesen und welche angeblich für welche Ereignisse oder Tendenzen im Leben steht. Das passte zu meiner Oma.
„Hast du denn immer noch keinen Mann?“
Als nächste kam Omas jüngere Schwester, Tante Herta. „Hast du denn immer noch keinen Mann? Es wird ja langsam mal Zeit.“ Tante Herta habe ich auch nix erzählt. Ich glaube, ich habe etwas gesagt wie: „Ich brauche keinen Mann, wieso denn?“ und ein Kopfschütteln geerntet.
Meinen Eltern habe ich ebenfalls nichts gesagt. Ich wollte keine Erwartungen wecken, keine Geschichte erzählen, die gerade erst anfing und von der nicht klar war, wie sie weitergehen würde.
Eine einzige Ausnahme habe ich gemacht an diesem sonnigen Hochzeitstag: Ich habe Papas Schwester Dorchen von Hildes und Hertas lästigen Fragen erzählt und dass ich tatsächlich einen sehr netten Mann kennengelernt habe. Dass die Geschichte aber noch offen und deshalb geheim ist.
Das erste Abendessen für Ralf: ein italienisches Menü
Es kam Pfingsten und damit ein sonniges, langes Wochenende in Hamburg. Irgendwie erscheint mir überhaupt diese ganze Zeit im Frühjahr 2000 wie eine lange Abfolge sonniger, heiterer Tage. Ich lud Ralf zu mir nach Hause zum Essen ein. Natürlich sollte es ein italienisches Menü geben. Am Freitag vor Pfingsten kaufte ich im italienschen Delikatessenladen nebenan eine stattliche Menge Antipasti, Mozzarella, Kalbsschnitzel, Parmaschinken, Salbei und frische Erdbeeren, und dann hatte ich den ganzen freien Tag Zeit, das Essen vorzubereiten. Es war der 9. Juni.
Am Abend kam Ralf dann und zog gleich die Schuhe aus und lief barfuß durch meine Wohnung. Das zeigte mir, dass auch er sich bei mir sofort zu Hause fühlte. Denn in Westdeutschland ist es – anders als hier im Osten – nicht üblich, sich die Straßenschuhe auszuziehen und Hausschuhe mitzubringen.
„Darf ich bei dir duschen?“, fragte Ralf. „Ich habe bis gerade eben bei einem Umzug geholfen.“ Klar durfte er. Und so begann der Abend völlig tiefenentspannt.
Ich koche gerne und viel, und seit dem 9. Juni 2000 habe ich ungezählte Mahlzeiten für Ralf und mich zubereitet. Das war die allererste:
1. Gemischte Antipasti (eingelegte Oliven, Pilze und andere Gemüse), Insalata Caprese (Tomaten mit Mozzarella, Basilikum und Olivenöl)
2. Spaghetti Olio Aglio Peperoncino (Spaghetti mit Olivenöl, Knoblauch, Chili und Petersilie)
3. Saltimbocca alla Romana (Kalbsschnitzel mit Salbei und Parmaschinken) und dazu gemischter Salat
4. Erdbeeren in Rotwein
Das war also der Tag, bis zu dem wir uns füreinander aufgespart hatten. Von diesem Abend an trennten wir uns nur noch, wenn wir mussten.

Am Anfang waren wir nur im Hier und Jetzt
Und wir nahmen uns weiterhin Zeit, uns im Hier und Jetzt kennenzulernen. Am Anfang erzählten wir uns kaum etwas über unsere Vergangenheit. Sie spielte ganz einfach keine Rolle. Als ich meiner Freundin Susanne von Ralf erzählte, wollte sie alles Mögliche wissen, mit wem er vorher zusammen war, ob er Kinder hatte, lauter solche Sachen. Und ich wusste es nicht. Es war zu dieser Zeit, ganz am Anfang unseres gemeinsamen Lebens, nicht wichtig.
Natürlich dauerte diese Phase nicht sehr lange. Nach und nach erzählten wir uns, wer wir waren. Ralf war, wie ich, Single. Es gab keine Kinder. Es gab überhaupt keine Konflikte. Wir haben uns gefunden, und alles war gut. Unsere Geschichte taugt nicht für einen Roman. Wir mussten uns nicht durch Irrungen und Wirrungen schlängeln, nicht unser altes Leben aufräumen, wir haben niemanden verletzt, wir waren beide gesund, es gab für unser Glück keine Hindernisse.
Im September zogen wir zusammen: Wir mieteten in Hamburg-Rotherbaum eine Altbauwohnung.
Am 27. Juli 2001 haben wir geheiratet.
Es war alles goldrichtig
Und gerade an diesem Wochenende in Pirna und Dresden haben wir uns wieder gegenseitig gesagt, dass alles goldrichtig war. Dass wir daran in all den Jahren keine Sekunde gezweifelt haben.
Wir waren und sind sehr glücklich. Unsere Liebe ist nicht weniger geworden, sondern mehr. Und ich bin noch immer verliebt in diesen tollen Mann mit den fast weißen, welligen Haaren (am Hinterkopf sind sie noch ein klein wenig dunkler, aber nicht viel), den liebevollen braunen Augen und dem schönsten Lächeln der Welt.

So etwas kann man nicht planen. Man geht in einen Segelkurs und trifft die Liebe seines Lebens. Das ist Zufall oder Schicksal, wer kann das wissen?
Wir waren damals beide nicht auf der Suche nach einer Partnerin oder einem Partner. Ich war erst seit wenigen Monaten in Hamburg und noch damit beschäftigt, mich dort einzufinden, nachdem ich in Münster einen liebenswerten Freundeskreis zurückgelassen hatte.
Und dann ist es einfach passiert.

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