Hier sitze ich an unserem langen Esstisch, die Adventskranzkerzen leuchten, und die Spülmaschine läuft. Wir haben wunderbar gefrühstückt, im Radio läuft ruhige Musik, immer mal wieder auch ein Weihnachtslied, und ich habe noch ein bisschen Zeit, bis Ralf und ich heute Abend mit Ralfs Mutter essen gehen. Wir hatten schöne Tage miteinander, entspannt und mit viel Musik. Doch Weihnachten fühlt sich anders an als früher. Längst ist es vom Fest der Erwartung zum Fest der Erinnerung geworden. So viele Stimmen sind verklungen, neue, stille Gäste eingezogen.
Melancholie, Wehmut und Erinnerung
Weihnachten war früher ein fröhliches Fest. Auch wenn es zwischendurch mal ein bisschen Streit gab, auch wenn Besuche und Verpflichtungen nicht immer so gelegen kamen – insgesamt war es doch eine fröhliche Angelegenheit. Die ganze Adventszeit lang habe ich mich darauf gefreut. Auch dieses Jahr übrigens wieder. Ein paar besondere Tage mit den liebsten Menschen, schöne Lieder, leckeres Essen, liebevolle Überraschungen.
Doch längst ist die Melancholie eingezogen, sitzt Weihnachten mit am Tisch, nimmt jedes Jahr ein bisschen mehr Platz ein. Und ihre Schwester, die Wehmut, ist auch dabei. Sie sitzt direkt neben der Erinnerung, die zum Glück oft fröhlich ist. Das sind sie, unsere neuen Gäste. Sie haben die Plätze derjenigen eingenommen, die uns einst so nahe waren und die es heute nicht mehr gibt. Und die doch gerade jetzt auf eine besondere Art bei uns sind.
Ich habe vor ein paar Jahren schon einmal einen Blogbeitrag über das Weihnachtsfest geschrieben, darüber, wie es sich früher angefühlt hat. Und es ist alljährlich ein aktuelles Thema. Denn auch wenn Ostern das höchste kirchliche Fest des Christentums ist, so ist doch Weihnachten bei uns das wichtigste regelmäßig wiederkehrende Familienfest. Es funktioniert auch jenseits seines christlichen Ursprungs. Man verbringt Zeit mit seiner Familie, man versucht, etwas Besonderes daraus zu machen mit gutem Essen und schöner Stimmung. Die Menschen zünden Kerzen an, schmücken ihre Häuser, machen aus den dunkelsten Wochen des Jahres irgendwie eine helle Zeit.
Bücher, Bücher, Bücher!
Als Kind habe ich mich immer sehr auf die Bücher gefreut, die ich mir zu Weihnachten gewünscht habe. Denn die habe ich tatsächlich auch bekommen. Natürlich habe ich mir nicht nur Bücher gewünscht. Da gab es auch andere Dinge. Einen Plattenspieler zum Beispiel oder Schlittschuhe. Aber die Bücher waren irgendwie immer das Wichtigste. Als Kind (und manchmal auch heute noch) habe ich alles von Erich Kästner aufgesogen, außerdem so liebenswerte Bücher wie die Mutzi-Reihe, Geschichten von James Krüss und, als ich noch klein war, alle Urmel-Bücher von Max Kruse.
Und dann war ich verrückt nach Krimis und habe sämtliche Reihen von Enid Blyton verschlungen. Jedes Jahr an Heiligabend kamen Oma Else und Opa Karl, meine Großeltern mütterlicherseits, nach dem Gottesdienst zu uns, und als Geschenk brachten sie mir ein Fünf-Freunde-Buch mit. Also saß ich dann stundenlang zufrieden da und las.
Weihnachtsbraten? Ach nö, nicht schon wieder!
Am nächsten Morgen war dann Stress angesagt, denn mein Vater fuhr gegen Mittag los und holte seine Eltern zum Essen ab. Und die Mama hat den Weihnachtsbraten zubereitet, obwohl sie da gar keine Lust zu hatte, und das hat sie auch unmissverständlich gesagt. Also, meinem Vater und mir hat sie es gesagt, natürlich nicht den Großeltern. Ich habe lieber beim Kochen geholfen als beim Abtrocknen. Eine Spülmaschine hatte damals noch kaum jemand, also musste das ganze Geschirr von Hand gespült und dann abgetrocknet und weggeräumt werden – und das fand ich ganz furchtbar langweilig.
Kochen fand ich gar nicht langweilig, das war genau mein Ding. Ich habe Kochen gelernt, als ich neun war, und das ganz auf eigenen Wunsch. Lieber habe ich nach der Schule für meine Eltern das Mittagessen gemacht als das Geschirr abzutrocknen, aber das ist eine andere Geschichte.
Oma und Opa laden zum Brunch – mit Mohnklößchen
Einmal haben Papas Eltern alle ihre Kinder und Enkel an einem der Weihnachtsfeiertage zum großen Brunch eingeladen. Ich weiß nicht mehr, in welchem Jahr das war, aber ich war so zwischen 20 und 25 Jahre alt. Das war ein schönes Fest, und es gab mal wieder jede Menge zu essen. Vor allem aber hatte Oma Hilde extra für meinen Papa Mohnklößchensuppe gemacht, die er als Kind so gern gegessen hatte.
Damals dachte ich, das Gericht stamme aus Omas Heimat Pommern. Erst später habe ich gelernt, dass es ein typisch schlesisches Gericht ist. Es muss also in der Zeit in die Familie gekommen sein, in der meine Urgroßeltern im schlesischen Bolkenhain einen Kolonialwarenladen betrieben haben. Das waren die Eltern von meinem Opa Walter. Wer meine Familiengeschichten im Blog gelesen hat, hat sie schon kennen gelernt.
Zauberhafter Schnee
Als ich klein war, gab es im Winter oft Schnee. Vielleicht nicht immer an Weihnachten, aber es gab diesen Schnee, und ich bin täglich zum Schlittenfahren losgezogen. Auf der Terrasse habe ich mir ein Iglu gebaut und ab und zu auch einen Schneemann. Manchmal waren wir auch mit den Cousinen und Cousins, den Eltern und Großeltern im Stadtwald in Remscheid-Lennep, und wir Kinder durften Schlitten fahren. Dick lag der Schnee auf den Tannen, und es sah wunderschön aus.
Zu Beginn der 2000-er Jahre, als Ralf und ich zusammen in Hamburg lebten, hatten wir dort tatsächlich auch einmal Schnee zu Weihnachten. Wir sind an der Alster spazieren gegangen, an überzuckerten Bäumen und Wiesen vorbei, und überall duftete es nach Glühwein. Die Sonne schien, und viele gut gelaunte Menschen waren unterwegs. So ein bisschen Schnee an Weihnachten zaubert eine schöne Stimmung. Man schaut aus dem Fenster und freut sich. Dieses Jahr ist es hier bei uns in Pommern ganz grau, und es gibt oft Nieselregen. Und da wir bei diesem Wetter keine Lust zu einem Strandspaziergang hatten, sitze ich jetzt hier und schreibe.
Alle Fenster hell erleuchtet
Später, als wir in Salzwedel in Sachsen-Anhalt wohnten, haben Ralf und ich unsere Eltern zu Weihnachten zu uns eingeladen. Ich hatte die Idee irgendwann im Herbst 2006. Wir wohnten damals in einem schnuckeligen, 400 Jahre alten Fachwerkhaus mit vielen kleinen Zimmern, und wir hatten Platz genug, um alle unterzubringen. Außerdem stand für mich Weihnachten kein Dienst auf dem Programm.
Kurz vor Weihnachten hatte der Chefredakteur die leitenden Redakteure zum Weihnachtsessen eingeladen, und so verbrachte ich den Abend in einem italienischen Restaurant in Magdeburg und fuhr danach die etwa 100 Kilometer zurück nach Salzwedel. Ich habe damals für die Volksstimme gearbeitet, eine Zeitung mit einem sehr großen Verbreitungsgebiet. Weite Fahrten waren nicht ungewöhnlich.
Nun war es genau der Abend, an dem meine Schwiegerelten bei uns zu Hause eintrafen. Sie wohnten damals in Spanien und sind wohl nach Hamburg oder Berlin geflogen und dann mit der Bahn zu uns gekommen. Ich weiß noch genau, wie es war, als ich spät abends zuhause in Salzwedel ankam. Schon während der ganzen langen Autofahrt durch die Dunkelheit der altmärkischen Wälder hatte ich mich darauf gefreut, nach Hause zu kommen, in ein Haus mit lieben Menschen, und so war es dann auch. Alle Fenster waren erleuchtet, es sah warm und anheimelnd aus. Ich stieg aus dem Auto und guckte. Es war so schön.
Drinnen saßen Ralf und seine Eltern Irmi und Fred schon bei guter Stimmung, und wir feierten Wiedersehen und tranken noch den einen oder anderen Wein.
Turmblasen in Salzwedel
Am nächsten Tag kamen dann meine Eltern aus Remscheid. Wir verbrachten eine fröhliche Zeit zu sechst mit einem großen Weihnachtsmenü an Heiligabend, mit Ausflügen und Restaurantbesuchen. In Salzwedel gibt es die schöne Tradition des Turmblasens am Heiligen Abend. Um 18 Uhr spielten Blasmusiker oben vom Rathausturm aus vier Weihnachtslieder. Und dazu versammeln sich hunderte Menschen auf dem Rathausturmplatz mitten in der Stadt. Es gibt Glühwein, man trifft Bekannte, es ist schön. Dort gingen wir mit unseren Eltern natürlich hin, und von da an auch in den restlichen Jahren, die wir noch in Salzwedel verbrachten.
Wir waren sechs fröhliche Menschen
Auch aus unseren gemeinsamen Weihnachtsfesten ist eine kleine Tradition geworden, die wir über Jahre aufrechterhielten. Erst in Salzwedel, dann hier an der Ostsee, und recht bald sind unsere Eltern dann auch hierher gezogen. Wir waren sechs fröhliche Menschen bei diesen Festen.
Doch das Leben ist Veränderung, sonst wäre es kein Leben. Und nicht jede Veränderung ist schön. Erst kamen Krankheiten, dann der Tod. Und dann gab es keine fröhlichen gemeinsamen Weihnachtsfeste mehr. Jetzt sind wir zu dritt. Und die, die nicht mehr da sind, fehlen uns. Aber so ist es nun einmal, und eigentlich ist es auch keine traurige, sondern eine ganz normale Geschichte.
Denn es ist Teil des Lebens, dass Menschen sterben, und wenn die Eltern alt werden und dann vor ihren Kindern sterben, ist das richtig so. Andersherum wäre es schlimm. Und wir sind noch da und sind natürlich trotzdem traurig, aber diese Traurigkeit ist doch eher Wehmut und Melancholie, und sie wird nicht vergehen, so lange wir leben.
Tasten, aus denen Töne kommen
Das hindert Ralf und mich aber nicht daran, sehr glückliche Menschen zu sein. Das Leben ist eben immer auch ambivalent. Seit ein paar Jahren machen wir Musik: Ralf lernt Bass- und ich Klavierspielen, außerdem habe ich eine tolle Gesangslehrerin und jede Menge Pläne und Projekte. Dass ich so selten in diesen Blog schreibe, hat zurzeit auch damit zu tun, dass ich oft lieber die Tasten drücke, aus denen Töne kommen, als die, die Buchstaben produzieren. Es ist ein großes Geschenk, dass wir Neues lernen dürfen in einem Alter, das nicht alle Menschen erreichen. Denn nicht nur Eltern und Großelten, auch die ersten Freunde sind schon gegangen.
Euch allen eine friedliche Zeit
Ich wünsche Euch allen noch schöne Tage und einen guten Start ins neue Jahr. Und uns allen wünsche ich eine lebenswerte Zukunft in einer friedlichen Welt.
Hast Du Lust auf mehr?
Hier kannst Du meinen Blog abonnieren.
Dann sende ich Dir künftig eine Mail, wenn ich etwas Neues geschrieben habe. Ich benötige lediglich Deine E-Mail-Adresse und keine weiteren Daten. Keine Sorge, das Abo kostet nichts, und ich gebe Deine Adresse nicht an Dritte weiter. Und wenn Du keine Mails mehr von mir bekommen möchtest, kannst Du das Abo mit einem Klick ganz leicht abbestellen.