Ralf und ich betreiben die Segelschule Rückenwind seit mehr als zehn Jahren. Wir bringen den Menschen das Segeln und das Motorbootfahren bei. Wir erklären die Theorie vom Anfängerkurs bis hin zu anspruchsvollen Yachtsegelscheinen, bei denen die Navigation schon das Niveau der Berufsschifffahrt erreicht. Vom Frühjahr bis in den Herbst verbringen wir viele Stunden mit unseren Teilnehmern auf dem Wasser.
Die Segelschule ist unsere Arbeit – nicht unsere Freizeit
Diese Arbeit macht uns Freude, und viele unserer Teilnehmer sind uns ans Herz gewachsen. Aber es ist trotz allem noch unsere Arbeit. Nicht unsere Freizeit. Nicht unser reines Vergnügen. Mit anderen Worten: Müssten wir unseren Lebensunterhalt nicht verdienen, würden wir die Arbeit nicht machen. Dann würden wir unsere Zeit auf andere Weise verbringen. Und damit bin ich beim Thema. Seit Jahren ärgere ich mich darüber, dass wir immer wieder Menschen begegnen, vor denen wir uns dafür rechtfertigen müssen, dass wir für unsere Arbeit Geld nehmen.

Allzu oft wird es auch als selbstverständlich hingenommen, dass wir den Unterricht überziehen, um ein Thema zu vertiefen oder eine Navigationsaufgabe noch einmal zu erklären. Dass der Lehrer nach dem Unterricht oder in der kleinen Pause, die er zwischendurch braucht, um durchzuatmen, den einen oder anderen Seemannsknoten noch mal zeigt oder auf irgend ein anderes Problem eines Teilnehmers eingeht.
Wenn wir den Unterricht bei einem einwöchigen Theoriekurs an einem Abend mal eine halbe Stunde länger machen, ist das für uns okay. Aber wenn das drei, vier Mal passiert, arbeiten wir eineinhalb oder zwei Stunden gratis. Das Gleiche gilt natürlich für den praktischen Unterricht: wenn wir die Segelzeit überziehen, damit jeder das Manöver ein weiteres Mal üben darf, obwohl der Unterricht eigentlich schon zu Ende wäre.
Was würde der Handwerker machen?
Würde der Handwerker das auch machen, der Euer Auto repariert oder Euer Badezimmer fliest? Nein! Der schreibt die Arbeitsstunden auf, und hinterher kommt die Rechnung. Kein Mensch wundert sich dann über 50 oder 60 Euro Stundenlohn. Das ist eben so, da muss niemand etwas erklären.
Aber in der Segelschule, bei Katja und Ralf, da ist das doch anders! Die haben ihr Hobby zum Beruf gemacht. Es ist doch gerade so schön hier auf dem Boot. Da muss man doch nicht aufs Geld gucken. Die machen das ja schließlich gern. Die arbeiten da, wo andere Urlaub machen.
Ja, Ihr Lieben, wir arbeiten da, wo andere Urlaub machen. Von dem Geld, das wir erwirtschaften, müssen wir leben. Wir müssen Essen und Kleidung kaufen, unsere Krankenversicherung bezahlen, für unsere Altersvorsorge sparen, wir brauchen Strom und Heizung und vieles mehr. Wie alle anderen Menschen auch. Die Zeit, die wir mit Euch auf den Booten und im Theorieunterricht verbringen, ist – so nett das auch alles sein mag – unsere Arbeitszeit.
In dieser Zeit können wir zudem andere notwendige Arbeiten nicht erledigen. Zum Beispiel Bootspflege, Kundenberatung per E-Mail oder Telefon, Buchführung, Reinigungsarbeiten, Materialeinkäufe für die Segelschule und vieles mehr. Diese Dinge machen wir teilweise später abends oder nachts. Oder wir vergeben Aufgaben an externe Anbieter. Die Externen bekommen natürlich die üblichen Stundenlöhne.
Ich habe mich erst aufgeregt, dann war ich traurig
Warum ich diesen Beitrag heute bringe, hat einen Grund. Gestern habe ich mich erst total aufgeregt, und danach war ich traurig. Und am besten kann ich mir Luft machen, indem ich einfach alles aufschreibe. Da hatte jemand, der bald die Prüfung für den Sportbootführerschein See machen möchte, ein Problem mit einer Prüfungsaufgabe. Ralf wollte helfen und hat einen Termin vereinbart, den er noch irgendwie zwischen den Segelkurs und den abendlichen Theoriekurs in den Kalender zwängen konnte.
Die Kursteilnehmerin kam, und Ralf hat ihr eine halbe Stunde Nachhilfe gegeben. Dann fragte sie ihn, wie viel er dafür bekomme. Vielleicht war das ja eine rhetorische Frage, aus Höflichkeit gestellt, und eigentlich wurde die Antwort „nichts“ erwartet. Ralf aber, der selber ein gutmütiger, freigebiger und großherziger Mensch ist, sagte: „Bezahle einfach, was du möchtest. Du kannst ja deinen eigenen Stundenlohn nehmen und mir die Hälfte davon geben.“ Er hat damit gerechnet, dass sie das dann auch machen würde. So wie er selbst in dieser Situation übrigens gehandelt hätte.
Wie eine Ohrfeige für Ralf
Die Teilnehmerin kam dann zu mir, um zu bezahlen, denn ich war vorne im Büro. Fünf Euro war ihr die halbe Stunde wert. Das kam mir vor wie eine Ohrfeige für Ralf. Muss ich mir jetzt Sorgen machen, dass sie selbst so wenig verdient? Oder fand sie tatsächlich, dass Ralfs Arbeit so wenig wert war? Er hat ihr geholfen, er hat sich die Zeit genommen, er hat sich extra beeilt und auf seine Pause verzichtet. So was macht mich echt wütend.
Ist Lohn nur ein Trostpflaster?
Wenn ein Mensch seine Arbeit gern tut, muss man sie ihm dann nicht bezahlen? Ist Lohn etwa nur ein Trostpflaster dafür, dass man seine Zeit mit einer Tätigkeit verbringt, die man nicht mag? Was ist dann mit den Handwerkern, Musikern, Schauspielern, Lehrern, Ärzten und vielen anderen, die ihren Beruf lieben? Ihr merkt, ich rege mich immer noch auf.
Deshalb beende ich diesen Text jetzt besser. Heute ist wieder Segelkurs, ein sehr netter Kurs übrigens, auf den ich mich freue. Trotzdem. Den Frust musste ich mir jetzt mal von der Seele schreiben.