Weihnachten ist vorbei. Das neue Jahr hat noch nicht angefangen. Ein klein wenig scheint die Welt stillzustehen in diesen Tagen. Wir erwarten nichts mehr vom alten Jahr. Also verweilen wir, haben vielleicht sogar frei und Zeit, uns auf das zu besinnen, was war. Und über das nachzudenken, was da wohl kommen wird.
Einer meiner früheren Chefredakteure sagte mal, dass ihm der Ausdruck „zwischen den Jahren“ sehr gefalle. Ich schließe mich dem an. Es ist eine wundervolle Formulierung für eine Zeit, die irgendwie keine ist. Für einige wenige besondere und stille Tage, in denen ich mir gerne vorstelle, dass die Welt kurz anhält, um dann, sobald das Neujahrsläuten um Mitternacht vorbei ist, am 1. Januar wieder loszulegen.
Innehalten, eine Pause machen
Als ich noch als Zeitungsredakteurin gearbeitet habe, hatte ich in dieser Zeit selten Urlaub. Oft habe ich auch an einem oder beiden Weihnachtstagen gearbeitet. Da war nicht viel mit Ruhe und Besinnung. Trotzdem war die Stimmung eine besondere.
Natürlich steht die Welt nicht still. Alles geht weiter. Das Schlimme wie das Gute. Es geht nicht darum, sich davon abzuwenden. Sondern einfach ums Innehalten, eine Pause machen.
Silvester war einst großartig
Früher war der Jahreswechsel für mich etwas Großartiges. Ein neues Jahr, da konnte so viel passieren. Ich konnte so viel erleben, lernen, entdecken! In meiner Kindheit und Jugend habe ich mit Feuereifer Silvester gefeiert und mich auf das kommende Jahr gefreut. Es würde gut werden, auf jeden Fall!
Zuhause, in der Elisabethstraße in Remscheid, kamen Silvester um Mitternacht immer fast alle Nachbarn auf die Straße. Wir wünschten uns gegenseitig ein schönes neues Jahr und machten Feuerwerk.
Da die Straße am Hang liegt, sind die Haustüren dort nicht ebenerdig. Zu unserer Tür führte ein Podest mit acht Treppenstufen, oben umgeben von einem Geländer. Mein Papa befestigte eine Sonne an eben diesem Geländer und zündete sie an. Wie schön das aussah, wenn die Funken herumwirbelten! Die Silvesternacht hatte ihren ganz eigenen Zauber. Genau wie die Weihnachtszeit, über die ich in einem früheren Beitrag geschrieben habe.
Umdrehungen bei Lutz
Später verbrachte ich diesen Abend oft mit Klassenkameraden und Freunden. Ich erinnere mich noch genau an eine Silvesterfeier bei meinem Mitschüler Lutz. Wir waren eine ganze Clique von Leuten, die meisten oder vielleicht auch alle aus meiner Klasse. Es war eine fröhliche Party, die Getränke hatten ein paar Umdrehungen. Damals waren gruselige Drinks in – blauer Engel, grüne Wiese, Bacardi-Cola, Batida Orange. Wahrscheinlich war mir am nächsten Tag schlecht. Aber diese Erinnerung hat sich zum Glück verflüchtigt.
Wir saßen in Lutz‘ Zimmer auf dem Teppich und auf allen verfügbaren Polstermöbeln, stapelten uns dann für eine halbe Stunde im Wohnzimmer und guckten „Dinner for one“, liefen um Mitternacht hinaus und zündeten Böller. Danach fuhren wir mit dem Aufzug ganz nach oben – Lutz wohnte in einem Hochhaus – und schauten uns von dort aus das Feuerwerk über Remscheid an.
Wirklich respektabel alt
Und dann kam mir plötzlich der Gedanke mit dem Alter. Jetzt gerade hatte das Jahr angefangen, in dem ich wirklich respektabel alt werden würde! Das musste ich sofort den anderen verkünden. „Dieses Jahr werde ich siebzehn“, schrie ich begeistert meiner Freundin Angelika ins Ohr. „Nicht zu fassen, oder?“ Siebzehn – das fühlt sich fast schon an wie zwanzig. Also unglaublich erwachsen.
Diese kleine Erinnerung ist doch wirklich hinterhältig. Ausgerechnet in diesem Jahr schleicht sie sich am Silvestertag wieder an und grinst mir frech ins Gesicht. „Ich hab‘ Jubiläum“, flüstert sie mir zu. Leider hat sie Recht. Die Party bei Lutz ist heute genau 40 Jahre her. Was aus Lutz geworden ist, weiß ich nicht. Auch Angelika habe ich seit Jahrzehnten aus den Augen verloren. Dennoch sehe ich diese Szenen vor mir, als wären seitdem höchstens fünf Jahre vergangen.
Der 141. Geburtstag – und noch immer trinkfest
„Dinner for one“ gehört bei mir noch immer zu den in Stein gemeißelten Silvesterritualen. Nur ganz selten habe ich es mal nicht gesehen – etwa damals, als ich zum Jahreswechsel in San Sebastian auf La Gomera war. Das war irgendwann in den Neunzigern. Da konnte man noch keine Sendungen übers Internet gucken.
Meine Eltern hatten früher alljährlichen Spaß mit Miss Sophie und James. Und ich auch. Miss Sophie ist die älteste Frau der Welt. Da können all die greisen Japanerinnen einpacken. Miss Sophie feiert nachher zum 51. Mal ihren 90. Geburtstag im deutschen Fernsehen. Selbst wenn wir mal unberücksichtigt lassen, dass der Sketch aus den 20-er Jahren stammt und Freddy Frinton ihn schon 1945 in England aufgeführt hat – nach der deutschen Fernsehrechnung ist Miss Sophie also inzwischen 141 Jahre alt. Und immer noch trinkfest.
Dinner for friends and family
Obwohl – so furchtbar trinkfest muss sie bei ihrem Dinner gar nicht sein. Wir haben es ausprobiert. Zweimal haben Ralf und ich am Silvesterabend das Dinner for one nachgekocht und mit den dazugehörigen Getränken serviert. Einmal Anfang der Zweitausender in unserer ersten gemeinsamen Wohnung in Hamburg für Freunde und etwa zehn Jahre später noch mal hier in Wolgast für unsere vier Eltern. Es waren lustige Abende. Dabei haben wir zwei Dinge festgestellt:
1. Miss Sophies Adelsgeschlecht ist verarmt, aber der Weinkeller ist wohl noch recht gut gefüllt. Das Essen selber kostet jedenfalls nicht viel. Außerdem ist vom ganzen Hauspersonal ja auch nur noch das Multitalent James übrig geblieben.
2. Wenn man nicht wie James für fünf Gäste trinken muss, ist der Spaß gut verträglich.
Einfach mal selber kochen und Getränke testen 🙂
Für alle, die mal Lust drauf haben, das Menü geht so:
- Mullygatawny (das ist eine Curry-Reis-Suppe, ich habe dafür ein Rezept aus Singapur), dazu Sherry
- Nordsee-Schellfisch (der ist heute etwas teurer als damals, und man bekommt ihn auch nicht überall. Lässt sich aber vorbestellen), dazu Weißwein
- Hühnchen, dazu Champagner bzw. Sekt
- Obst und Portwein
In Sachen Beilagen ist Kreativität gefragt, und das Obst darf gern zum Obstsalat mutieren. Auf jeden Fall macht so ein Silvesterabend richtig Spaß.
Lachen ist willkommen
Alles, was uns zum Lachen bringt, ist uns in diesen Tagen willkommen. Gestern Abend zum Beispiel. Da lief recht spät auf ARD der Silvesterspaß „Kurzschluss“ mit Anke Engelke und Matthias Brandt. Genau unser Humor. Wir haben herzhaft und laut gelacht.
Das Zurückschauen auf das gerade vergehende Jahr ist leider in vielem nicht erfreulich. Da sind die Katastrophen, die uns alle betreffen. Allem voran dieser entsetzliche Krieg in der Ukraine. Und da sind die Ereignisse unseres persönlichen Lebens. In unserer klein gewordenen Familie gab es 2022 nichts Schlimmes. Darüber freuen wir uns. Aber drumherum bricht vieles auseinander. Da ist der alte Freund, der nach einer Hirnblutung kaum sprechen und schreiben, sich also nicht mehr mitteilen kann. Obwohl er alles mitbekommt und versteht. Eine Freundin hat den Kampf gegen den Krebs verloren. Da sind andere, die sich gegen Krankheiten wehren. Und solche, die im falschen Leben stecken und verzweifelt nach Glück suchen.
Vieles ist jetzt nicht mehr selbstverständlich
Da nähern wir uns dem Grund, warum der Jahreswechsel für mich heute kein Fest mehr ist. Er passiert einfach, und die Zukunft bringt hoffentlich viel Gutes. Aber wir haben ein Alter erreicht, in dem vieles eben nicht mehr selbstverständlich ist. Über Gesundheit habe ich mir früher nicht viele Gedanken gemacht. Und die Wahrscheinlichkeit, dass die Menschen, die ich gern hatte, auch am Ende des beginnenden Jahres noch da sein würden, war früher groß. Heute sind viele schon weg. Und wir selber werden immer mehr zu den Leuten, die ich vor 30, 40 Jahren als echt alt bezeichnet hätte.
Zukunft? Auf jeden Fall!
Trotz dieser dunklen Gedanken freue ich mich auf die Zukunft. Egal, welches Jahr wir nun schreiben. Ralf und ich haben Pläne und Wünsche. Ich lerne noch immer dazu. Derzeit sind Schwedisch, Klavierspielen und Singen meine Haupt-Lernprojekte. Es gibt noch eine Menge zu tun und zu entdecken. Meine Wünsche für die kommende Zeit: Der Krieg soll aufhören. Die Menschen, auch diejenigen, die politisch noch in der Gedankenwelt der 80-er-Jahre stecken, sollen endlich Vernunft annehmen und tatkräftig gegen den Klimawandel vorgehen. Und Ralf und ich und alle, die wir lieben und gern haben, mögen gesund bleiben und ihr Glück finden.
Gleich gucke ich „Dinner for one“!
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