Wie will ich leben – und wie will ich nicht leben?

Zwei Fragen, über die alle einmal nachdenken sollten. Hier kommen meine persönlichen Antworten darauf

Ich will frei leben. Nicht frei in dem Sinne, dass ich mich an keine Regeln halten muss. Sondern frei auf eine Art, die die Würde der anderen Menschen respektiert. Die nichts zerstört und auch anderen ihren Raum lässt. Auf eine Art, die keine Gewalt braucht und keine Häme zulässt. Freiheit war mir immer wichtig. Keine Regierung soll mich für meine Meinung bestrafen, ausgrenzen oder einsperren. Kein Staat soll darüber bestimmen, wohin ich reisen darf und wohin nicht.

So bin ich aufgewachsen, von meinen Eltern und später in der Schule immer dazu angehalten, selbst zu denken, nicht zu urteilen, ohne Fakten und Beweggründe zu kennen, meine Meinung zu sagen und dafür einzustehen. Ich sollte ruhig gegen den Strom schwimmen, wenn ich das wollte. Aber immer auch anderen zuhören und sie respektieren. Meine Ansichten begründen, diskutieren, mich mit anderen einigen oder zu einer friedlichen Koexistenz finden – das war der Leitfaden, nach dem ich gelernt habe, mich im zwischenmenschlichen Mit- und Durcheinander zu orientieren. Meinungsfreiheit war für mich von Kind an selbstverständlich. Ich bin in einer Demokratie aufgewachsen, und damals schien mir auch diese selbstverständlich. Heute weiß ich, dass das nicht so ist.

Ich will nicht in einer Gesellschaft leben, in der Menschen unterdrückt werden und für Ansichten, die von den Vorgaben ihrer Regierung abweichen, eingesperrt werden oder im schlimmsten Fall einfach verschwinden. Wie so etwas geht, sehen wir zum Beispiel gerade in Russland. Wer in einem solchen Land lebt, hat irgendwann nur noch die Wahl, zu verstummen, einzuknicken oder sich in große Gefahr zu begeben. Bei uns darf jeder sein Weltbild laut verkünden. Das tut leider manchmal weh – vor allem, wenn man diejenigen hört, die „Widerstand“ brüllen und behaupten, die Bundesregierung „klaue“ ihnen ihre Freiheit. Aber das müssen wir eben aushalten. Sollen sie doch brüllen.

Freiheit heißt für mich nicht, mich über Recht und Gesetz hinwegzusetzen, sondern innerhalb eines gesetzlichen Rahmens zu handeln, der ein friedliches Zusammenleben ermöglicht. Dazu gehört die gewaltfreie Lösung von Konflikten. Und immer wieder die Notwendigkeit, Kompromisse zu finden. Das ist anstrengend. Aber es ist die beste Art zu leben.

Manchmal braucht es mehr Worte, als auf ein Plakat passen. Obwohl manche kurze Zeile auf einem Plakat oder Schild beeindruckend in die Tiefe gehen, uns bewegen und zum Nachdenken bringen kann. Auch ich möchte zum Nachdenken anregen. Und damit nicht abstrakt bleiben wie ein Pressebericht. Deshalb habe ich formuliert, wie ich leben möchte. Es hilft, sich angesichts der komplexen Probleme, mit denen sich die Welt auseinandersetzen muss, einmal ruhig hinzusetzen und sich zu überlegen: Was will ich eigentlich? Wie will ich leben? Und wie will ich nicht leben?

Demos gegen rechts – wenn viele kommen, wissen wir: Wir sind nicht allein

Ralf und ich haben uns an einer Kundgebung für ein weltoffenes und buntes Wolgast beteiligt – für eine lebendige Demokratie und gegen rechte Gewalt, Rassismus und Hass. Wir hätten uns in unserer kleinen Stadt hier oben im Nordosten schon über 50 Teilnehmer gefreut. Gekommen sind etwa 200. Es blieb friedlich, die Stimmung war toll. Weitere Veranstaltungen sollen folgen. Ich finde es enorm wichtig, dass die Menschen, die weiterhin in einer weltoffenen Demokratie leben möchten, jetzt auf die Straße gehen und das zeigen. Wenn viele kommen, wissen wir: Wir sind nicht allein. Ralfs und meine Freunde sind im ganzen Land verteilt, und viele von ihnen haben uns in den vergangenen Tagen geschrieben, dass sie an einer der Demos teilgenommen haben. Weiter so!

Viele Menschen haben Angst – und brauchen dringend eine Vision für die Zukunft

Vieles macht den Menschen Angst in diesen Zeiten. Ein Krieg tobt, uns so nah, in Europa. Jetzt gibt es noch einen weiteren in Nahost, der durchaus eskalieren kann. Die schrecklichen Bilder aus diesen Kriegen sind allgegenwärtig. Sie sind kaum zu ertragen. Es sind Menschen wie wir, deren Leben dort zerstört wird. Ralf und ich sehen hin. Meistens. Aber an manchen Tagen brauchen wir einfach eine Nachrichtenpause.

Der Ukraine-Krieg macht vielen Menschen in Europa Angst. Putin könnte durch einen Angriff im Baltikum den Nato-Bündnisfall auslösen, und der nächste Weltkrieg wäre da. Einige Experten warnen bereits davor. Dass es so weit kommt, ist übrigens meine größte Angst.

Aber selbst wenn das nicht passiert, sorgen die beiden Kriege bei vielen Menschen für große Unsicherheit, wie es mit ihrem Leben weitergeht. Wie werden sich die Energiepreise entwickeln? Kann man sich die warme Wohnung in Zukunft noch leisten? Der deutschen Wirtschaft droht eine Rezession, doch es ist unklar, wie stark diese sein und wie lange sie dauern wird. Dazu kommt die noch junge Erfahrung mit der Corona-Pandemie. Die Maßnahmen, die die Bevölkerung schützen sollten, haben sie gespalten. Aus manchen Freunden wurden Gegner.

Die Bundesregierung macht ihre Arbeit, und sie macht natürlich auch Fehler. Alle machen Fehler, niemand ist perfekt, auch eine Regierung nicht. Und jeder wird diese Fehler anders bewerten. Leider ist sich die Ampel-Koalition aber untereinander in vielen Dingen nicht einig und versteht es vor allem nicht, der Bevölkerung Zuversicht zu vermitteln. Es fehlt eine Vision für die Zukunft, die dem gesellschaftlichen Leben eine Richtung gibt und den Menschen Mut macht. Doch vielleicht können wir uns eine solche Vision noch erarbeiten. Es ist höchste Zeit dafür.

Wer einen Sündenbock verfolgt, bleibt irgendwann im Schlamm stecken

Da haben es jene leicht, die anderen Angst einhämmern und dabei oft laut sind. Und die dann einen Sündenbock benennen, der aus dem Weg geräumt werden muss, damit danach alles besser ist. Es ist ein uraltes Schema: Schuld sind die „Fremden“, die „Migranten“, die, die „anders“ sind. Dieser Methoden bedienen sich die Parteien rechts außen schon seit Jahrzehnten, doch sie haben sich in den krisengeschüttelten vergangenen Jahren weit in die Mitte der Gesellschaft vorgearbeitet.

Und noch einen „Schuldigen“ prügeln sie vor sich her: die „da oben“, zurzeit eben die Ampelkoalition. Es kursiert die absurde Lüge, wir würden in einer „Scheindemokratie“, also in Wirklichkeit längst in einer Diktatur leben. Es ist erschreckend, dass es Menschen gibt, die diesen Unsinn tatsächlich glauben.

Die Fortsetzung der Lügengeschichte geht so: Man muss nur „die da oben“ wegfegen und dann am besten noch die Menschen aus dem Land jagen, die nicht „deutsch“ genug sind, und dann wird alles gut. Jetzt können wir uns noch fragen, wer diesen Blödsinn in die Welt setzt. Da gibt es mehrere Quellen. Russische Bots (also keine Menschen, sondern von Computern erstellte Posts, die in den sozialen Netzwerken verbreitet werden, die man als Laie aber gar nicht als solche erkennt), Parteien rechts außen, Youtuber von zweifelhafter Gesinnung und ähnliche weitere. Doch Vorsicht mit den Sündenböcken: Wer sich von Hass und Häme anstecken lässt und den Sündenbock jagt, merkt erst, dass er sich verrannt hat, wenn er im Schlamm stecken geblieben ist.

Es gibt oft keine einfachen Lösungen

Wer Angst hat, seine Existenz zu verlieren, zu verarmen, in kommenden Wintern zu frieren, ist anfälliger für „einfache Lösungen“. Bei manchen wächst auch die Wut schneller als die Angst. Und das, was es eigentlich braucht – Besonnenheit, Nachdenken, sich sachlich informieren und die Lage analysieren, kommt zu kurz oder findet bei einigen Menschen auch gar nicht statt. Nicht jeder ist in der Lage, komplex zu denken. Aber jeder sollte doch in der Lage sein, anständig zu sein.

Ein Rückblick für mehr Durchblick

Die Zwanziger Jahre, deren Mitte wir uns gerade nähern, sind nicht gleichzusetzen mit den Zwanziger Jahren im vorigen Jahrhundert. Doch es gibt Parallelen. Wer sich mit der Weimarer Republik auseinandersetzt, erkennt, wo die nicht genutzten Möglichkeiten lagen und welche Fehler in das Desaster der 30-er Jahre und in den Zweiten Weltkrieg geführt haben. Einige dieser Fehler können wir auch heute machen, und da ist ganz große Vorsicht geboten. Wer sich über damals informieren möchte, findet sehr viel Literatur. Ein sehr gutes Buch habe ich vor kurzem gelesen: „Höhenrausch“ von Harald Jähner.

Ich freue mich, dass jetzt im ganzen Land so viele Menschen auf die Straßen gehen und den rechten Parteien und Gruppen zeigen, dass sie mit deren Art, Angst zu schüren, Hass und Häme zu verbreiten und menschenverachtende Pläne zu schmieden, nicht einverstanden sind. Dass diese Parteien und Gruppen eben nicht „das Volk“ vertreten, wie sie sich selber und anderen so gerne vormachen. Überhaupt, das „Volk“, was soll das sein? Die Deutschtümelei wird in Teilen der Gesellschaft schon wieder laut vor sich hergetragen. Den Menschen, die damit sympathisieren, kann man nur nahelegen, sich mal mit der Geschichte der Völkerwanderungen auseinanderzusetzen und mit der darauf bezogenen Genforschung.

Jeder kann mitmachen und Demokratie wählen

Damit wir frei leben können, reichen die Demonstrationen und Kundgebungen aber nicht aus. Es geht auch darum, dass bei den anstehenden Wahlen diejenigen, die die Demokratie letztendlich abschaffen wollen, nicht gewählt werden. Wer von diesen fest überzeugt und längst vereinnahmt ist, wird für sie stimmen. Aber was ist mit den anderen, den Unentschlossenen, Unzufriedenen, den Ratlosen und „Protestwählern“? Selbst wenn jemand mit der Regierung nicht zufrieden ist, kann es nicht die Lösung sein, Leute zu wählen, die uns die Freiheit nehmen wollen. Denkt also genau nach, was Ihr wollt und was nicht. Ihr könnt auch eine Partei wählen, die Euch nicht zu hundert Prozent überzeugt. Auch das ist eine Möglichkeit, seine Stimme gegen Rechtsaußen abzugeben.

Teilt nicht unüberlegt jeden Mist auf Social Media!

Und noch etwas hat jeder in der Hand: Wir alle können entscheiden, welche Botschaften wir weiterleiten möchten und welche nicht. Wer gedankenlos oder von Unmut erfüllt in den sozialen Medien Bildchen und Parolen teilt, macht sich mitschuldig daran, dass sich Lügen, Häme und Hetzereien ausbreiten. Es ist doch gar nicht so schwer, erst mal innezuhalten und darüber nachzudenken, was man da weitergibt, aus welcher Ecke es kommt, und was es bei anderen Menschen bewirkt, bevor man auf „Teilen“ klickt. Mich kotzt es jedenfalls an, wenn ich auf WhatsApp oder Facebook Bilder von Ampeln an Galgen oder Sprüche wie „Knipst der Ampel das Licht aus“ lese. Das hat mit Diskussion, Problemlösungen oder Meinungsaustausch nichts zu tun. Das ist im besten Fall einfach nur dumm.

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4 Kommentare

  1. Katja…. der Willi zollt Dir ein großes Bravo. Mach weiter und lass mich immer mitlesen.

  2. Liebe Katja, du hast mir aus dem Herzen gesprochen. Ich bin in der Diktatur des Proletariats aufgewachsen. Zum Glück aber in einer Familie, die diesem Spuck nicht auf dem Leim gegangen ist. Als selbsttätigeObstbauern und Christen, waren meine Eltern immer in Konfrontation mit dem System. Umso mehr haben wir die Demokratie herbeigesehnt. Das wir nocheinmal darum kämpfen müssen, ist unfassbar. Was wollen die Menschen, die das aufs Spiel setzen.? Wir müssen uns alle gegenseitig ermutigen und uns den Glauben an das Gute im Menschen bewahren. Dafür hast du Worte gefunden .Danke. herzliche Grüße Gerhild

  3. Liebe Katja,
    vielen Dank für diese wichtigen Zeilen und noch wichtigeres Engagement.
    Auch meine Erziehung und persönliche Entwicklung erlaubte einen sehr breiten Winkel. Damals gingen meine Eltern auf die Straße gegen den Vietnam Krieg und sangen, „we shall overcome“. Wir müssen wieder auf die Straße gegen Krieg und für Frieden.
    So stelle ich mir die Frage, was ging/geht schief in unserer Gesellschaft, dass stets dieselben Fehler wiederholt werden? Wie dumm sind manche, in die Falle zu tapsen und Autokraten zu lassen?
    Bitte schreibe weiter, bitte kämpfe weiter, ich kann es nicht…

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