Was ist richtig, was ist falsch?

Maskiert in die Zukunft: So gehen Ralf und ich vielleicht bald mit Euch segeln.

Wir schauen wieder für ungefähr zwei Wochen in die Zukunft und warten auf einen neuen „Tag der Entscheidung“. So hatten die Medien den 15. April getauft, an dem Kanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer über mögliche Lockerungen der Corona-Einschränkungen beraten hat.

Für uns bedeuten diese Lockerungen: Wir dürfen ab Montag unser Büro wieder öffnen und dort Bücher, Seekarten und Navigationsbestecke verkaufen. Kunden beraten dürfen wir dann wohl auch wieder – natürlich immer mit dem nötigen Abstand. Wir werden kein Problem mit dem großen Andrang haben. Wer zu uns kommt, möchte einen Sportbootführerschein machen oder segeln lernen oder einen Gutschein kaufen. Das sind auch in normalen Zeiten keine Menschenmassen. Und jetzt, wo alle in Wartestellung verharren, werden es wahrscheinlich noch weniger sein.

Mehr ändert sich für uns zunächst nicht. Unterricht in der Segelschule ist noch nicht wieder erlaubt. Immerhin dürfen wir selber mit unserer „Kleinen Brise“ aufs Wasser und dann wieder in den Heimathafen zurückkehren. Aber eben ohne Schüler.

Warten auf den 4. Mai

Jetzt warten wir auf den 4. Mai, denn vor diesem Tag wird es keine neuen Lockerungen geben. Dieses Warten war auch eines der Themen in unserer Online-Konferenz mit anderen Segelschulinhabern am Mittwochmorgen: Wir haben im Moment keine andere Möglichkeit, als unsere Kursteilnehmer immer wieder auf die nächsten ein, zwei Wochen zu vertrösten.

Die Kurse Ende April haben wir abgesagt, doch was wird im Mai? Und was ist im Sommer? Die Menschen möchten planen, der eine mehr, der andere weniger. Die ersten Nachfragen, ob der Segelkurs Mitte Mai stattfindet, sind schon gekommen. Eine befriedigende Auskunft konnten wir niemandem geben. Aber wir bieten allen an, kostenfrei auf einen späteren Termin umzubuchen.

Segeltörn mit sechs Leuten – ist das ethisch vertretbar?

Wir haben für die erste Maihälfte auch zwei Ausbildungstörns für den Sportküstenschifferschein im Programm. Dort segeln in der Regel fünf Teilnehmer mit dem Skipper eine Woche auf einer etwa zwölf Meter langen Yacht auf der Ostsee. Den ersten Törn haben wir abgesagt, denn der hätte vor dem 4. Mai begonnen. Die Teilnehmer hätten ohnehin nicht anreisen dürfen, denn die Einreise nach Mecklenburg-Vorpommern aus touristischen Gründen ist nach wie vor verboten.

Jetzt hoffen die Teilnehmer auf den zweiten Törn. Der würde am 9. Mai beginnen, und ausgebucht ist er auch. Doch auf so einem Segelboot geht es eng zu. Man teilt sich die Koje – also den nicht sehr großen Schlafraum – mit einem anderen Teilnehmer. Oft mit jemandem, den man vorher nicht kannte. Beim Essen im Salon eineinhalb Meter Abstand zu halten, ist nicht möglich. Ständiges Händewaschen beim Segeln ist eine schöne Theorie, die sicher nicht in die Tat umgesetzt werden kann.

Selbst wenn also unser Bundesland die Einreise nach dem 4. Mai wieder ermöglichen würde, selbst wenn wir dann in der Segelschule wieder unterrichten dürfen – wäre es ethisch vertretbar, diesen Törn dann stattfinden zu lassen? Wir haben ja eine Verantwortung anderen Menschen gegenüber. Wenn auf dem Boot einer Corona-positiv ist, sind es die anderen danach wahrscheinlich auch. Wir wollen aber nicht dazu beitragen, dass sich dieses Virus weiter verbreitet.

Experiment Schweden

Mir ist bewusst, dass sich Wissenschaftler und Mediziner über die Sinnhaftigkeit der massiven Corona-Einschränkungen nicht in allem einig sind. Auffällig ist aber auch, dass bei uns die Sterberate sehr viel geringer ist als in Schweden, wo es wesentlich weniger Einschränkungen gibt. Die problematischste Region dort ist Stockholm. In Schweden protestiert mittlerweile eine Gruppe von Wissenschaftlern gegen den lockeren Umgang mit der Pandemie und verlangt eine Änderung der Strategie. Ob Schweden richtig liegt oder das Experiment dort böse scheitert, werden wir erst in fernerer Zukunft wissen.

Ich denke, dass wir besser etwas zu vorsichtig als zu leichtsinnig sein sollten. Leben und Gesundheit sind in meinem Weltbild immer noch wichtiger als Wirtschaft. Natürlich ist es schlimm, wenn die wirtschaftliche Existenz auf dem Spiel steht. Wir sind mit unserer Segelschule ja sehr unmittelbar von den Einschränkungen betroffen. Aber dürfen wir deshalb das Leben von Menschen gefährden? Wenn wir jetzt viele Einschränkungen fallen lassen und sich dann mehr Menschen infizieren und schlimm erkranken, als unser Gesundheitssystem verkraftet, was dann?

Dass die Pandemie bei uns so langsam voranschreitet und vergleichsweise wenige Menschen mit einer Corona-Infektion sterben, wiegt uns scheinbar in Sicherheit. Aber eben scheinbar. Diese Sicherheit gibt es nicht. Das Virus ist und bleibt erst einmal unter uns.

Hallo? Mal nachgedacht?

Und dann dieses immer wieder vorgebetete Argument einiger Mitbürger, es hätten doch nur Alte und Menschen mit Vorerkrankungen schwere Krankheitsverläufe. Das ist dann also nicht so schlimm, oder was? Hallo? Mal nachgedacht, was das bedeutet? Wie viele Menschen haben denn Vorerkrankungen? Diabetes, Herzkrankheiten, Bluthochdruck, Krebserkrankungen, COPD und was sonst noch alles dazugehört. Und „alte“ Menschen, damit sind die ab 60 gemeint.

Haben die alle etwa kein Recht auf Leben? Ist es nicht so schlimm, wenn der 40-jährige Diabetiker schwer an Corona erkrankt und vielleicht gar nicht oder mit Spätfolgen überlebt? Oder der Diabetiker Mitte 50, der noch 30 Jahre Leben vor sich hat? Der junge Mann mit dem Herzfehler, der bislang dank seiner Medikamente und gesunder Lebensführung gut damit zurechtgekommen ist? Bei diesen Risikogruppen reden wir von ungefähr der Hälfte der Bevölkerung!

Und ein Mensch, der 80 Jahre oder älter ist – ist der nichts mehr wert, kann man den ruhig sterben lassen? Wenn Teenager so denken, kann ich das noch mit Dummheit oder Unüberlegtheit entschuldigen. Aber irgendwann sollte jeder Mensch dieses Stadium überwunden haben.

Ich habe erst Mitte Februar meinen Vater verloren, und ja, er war fast 80 Jahre alt. Er hat sein Leben lang hart gearbeitet und viel für andere Menschen getan, er war liebevoll und hatte ein gutes Herz. Sein Tod tut mir weh. Wenn er jetzt an Corona gestorben wäre, hätte ich da sagen sollen: „Nicht so schlimm, der war ja alt?“

Meine Mutter ist im Pflegeheim und hat, wie so viele alte Menschen, einige Vorerkrankungen, aber insgesamt geht es ihr gesundheitlich im Moment recht gut. Ich möchte, dass das auch so bleibt. Ich bin jeden Tag glücklich, an dem in ihrem Pflegeheim die Krankheit nicht ausbricht. Wir sollten also aufpassen und nicht zu schnell das dumme Zeug nachplappern, das wir von anderen hören.

Wirtschaft und Leben sind keine Gegner

Wie können wir also sicherstellen, dass wir möglichst viel richtig machen und möglichst wenig falsch? Dass wir unsere stillgelegten Unternehmen wieder in Gang bringen, ohne dass wir dabei andere Menschen gefährden? Ganz ohne Fehler, ohne Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten geht es wohl nicht. Auch politische Entscheidungsträger sind am Ende nur Menschen, die nicht alles gleichzeitig im Blick haben können. Aber ich finde, dass sie hier in unserem Land gerade einen ziemlich guten Job machen.

Vor allem sollten wir eines nicht machen: Wirtschaft und Leben als Gegner im Kampf um die richtige Strategie betrachten. Die Kunst besteht darin, beides zu berücksichtigen. Dazu gehört, Maßnahmen auch immer wieder zu hinterfragen und gegebenenfalls zu korrigieren. Die Menschen bestmöglich zu schützen und Infektionsketten nachvollziehbar zu machen. Den Alltag und die Arbeit vielleicht noch lange Zeit anders zu gestalten als vorher.

Mit dem Handy auf der Kanonenkugel

In diesem Zusammenhang jetzt politisch die richtigen Entscheidungen zu treffen, stelle ich mir ungefähr so vor: Man sitzt mit dem Handy am Ohr auf einer fliegenden Kanonenkugel. Die Kugel rast voran, und während man sich bemüht, das Gleichgewicht zu halten, stellt man Berechnungen an: Wo mag die Reise hingehen, wo mag die Kugel einschlagen? Und gleichzeitig versucht man schon, mit möglichst sinnvollen Anweisungen das voraussichtliche Ziel räumen zu lassen.
Baron Münchhausen hatte es leichter.

In unserer Segelschule können wir mit Einschränkungen leben, wenn wir denn irgendwann in den kommenden Wochen wieder arbeiten dürfen. Wir können Masken tragen, natürlich. Unsere Kurse verkleinern und dafür mehr Schulungstermine anbieten, damit unsere Teilnehmer nicht zu dicht aufeinandersitzen. Auf Ausbildungstörns im Frühjahr verzichten und diese zunächst auf den Herbst verschieben. All das ist möglich.
Aber man muss uns auch arbeiten lassen.

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6 Kommentare

    1. Ooooops, so wurde leider die Risikogruppe definiert. Menschen ab 60 Jahre. Und der Volksmund macht daraus die „Alten“. War nicht meine Idee 😉
      Ich habe Dich auch ganz dolle lieb, sogar noch, wenn Du wirklich mal alt bist 🌻🌻🌻

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