Stillstand, Vollgas, Stillstand – so war unser Jahr 2020

Wir sind noch da. Und uns geht es gar nicht mal schlecht. Das hätte auch anders werden können. Damals, im März, als der erste Lockdown kam und wir nicht wussten, ob wir unsere Segelschule bis zum Sommer überhaupt wieder aufmachen dürfen. Da lag der Rest des Jahres vor uns wie eine unbekannte Inselwelt ohne Seekarte. Wie würden wir da durchkommen? Würden wir Neues entdecken? Oder trotz aller Zuversicht untergehen? Oder würden wir segeln wie eh und je und doch noch viele Menschen mitnehmen in dieses herrlich freie Leben auf dem Wasser?

Stille und Einsamkeit: Leer ist der Hafen im März.

Nie war eine Saison anstrengender

Tatsächlich sind wir gesegelt und hatten freudvolle Momente. Wir blicken auf ein schwieriges Frühjahr zurück, auf einen wunderbaren Sommer und einen zweigeteilten Herbst. Bis zur Bootsführerscheinprüfung Anfang Oktober lief alles relativ normal, nachdem wir uns an die Corona-Bedingungen angepasst hatten. Anfang November mussten wir schließen. Auch im „Lockdown light“ hatten wir hier in Mecklenburg-Vorpommern Ausbildungverbot. Eines steht für uns fest: Die Saison 2020 war die mit Abstand anstrengendste Zeit, die wir bisher in der Segelschule hatten.

Im Frühjahr waren wir intensiv mit Formalitäten beschäftigt – wie läuft es mit der finanziellen Unterstützung im Lockdown, wie meldet man eigentlich Kurzarbeit an, wie bekommen wir unsere Boote saisonklar, wenn wir die Werft nicht betreten dürfen? Werden jetzt alle Leute ihre Anzahlungen zurückfordern, können wir laufende Kosten wie Miete und Versicherungen überhaupt zahlen? Und wovon leben wir? Die Soforthilfe, die wir ja zum Glück sehr schnell und unkompliziert erhalten haben, war ausschließlich für die Betriebskosten gedacht. Ich selber, als Inhaberin der Segelschule, hatte keinen Anspruch auf Geld, von dem ich mir Essen kaufen oder meine Krankenversicherung bezahlen konnte.

Psychische Belastung – wir waren jeden Abend erschöpft

Würde unser Notgroschen für schlechte Jahre reichen? Oder würden wir am Ende doch noch unsere Altersvorsorge anbrechen müssen? All diese Fragen haben Ralf und mich umgetrieben, und das war – trotz unseres grundsätzlichen Optimismus – psychisch sehr belastend. Wir waren jeden Abend erschöpft. Auch wenn wir unsere übliche Arbeit nicht tun durften – erholsam waren diese Monate nicht.

Privates Segeln ist im April verboten. Wir bringen unser erstes Boot in den Hafen – eine Dienstfahrt. Einsam gleiten wir über die Krumminer Wiek.

Kleiner Start am 25. Mai – mit zwei Schülern pro Boot

Dann kam der 25. Mai und damit der Tag, an dem wir endlich loslegen durften mit unseren Kursen. Wir haben erst mal klein angefangen im Segelkurs, mit nur zwei Schülern plus Lehrer auf jedem Boot. Normalerweise sind es vier Schüler; unsere Segelboote sind recht geräumig. Ziemlich bald hatten wir dann raus, wie wir den Mindestabstand von 1,50 Meter einhalten konnten. Insgesamt lief es darauf hinaus, dass wir die Teilnehmerzahl in allen unseren Kursen – Theorie und Praxis – reduziert haben. Das bedeutete im Durchschnitt zwei Drittel der „normalen“ Teilnehmermenge. Wir haben ein Hygienekonzept erarbeitet und jedem unserer Gäste zukommen lassen. Und wir hatten Glück – Corona hat tatsächlich einen Bogen um unsere Segel- und Motorbootkurse gemacht.

Nur zwei auf jedem Boot im ersten Segelkurs Ende Mai – immer mit Abstand.
Boje über Bord! Auch hier kommt sich niemand zu nahe.
Familienfreuden – hier darf auch zusammengerückt werden 🙂

Ein Drittel weniger Teilnehmer = ein Drittel weniger Umsatz

Seit Ende Mai wurden wir praktisch überrannt. Es war paradox. Die Nachfrage stieg zum Sommer hin rapide, und unsere Kurse waren frühzeitig ausgebucht. Das klingt jetzt leicht und unkompliziert, so als wären damit alle Probleme gelöst gewesen. Man darf aber nicht vergessen, dass ein Drittel weniger Teilnehmer auch ein Drittel weniger Umsatz bedeutet.

Mitten in der Saison die Preise erhöhen und Corona-Aufschläge fordern, das wollten wir nicht machen. Das hätte dann bedeutet, dass jemand, der sich schon im Winter angemeldet hatte, weniger für den Kurs bezahlt hätte als jemand, der erst im Frühling gebucht hat. Da die Teilnehmer die ganze Woche zusammen sind und auch mal über Preise reden, hätte das leicht zu Unmut führen können. Oder wir hätten von den Frühbuchern Nachzahlungen gefordert. Auch nicht besser.

Unsere Zeit bewusst nutzen: So wollen wir leben

Jetzt muss ich mal ein bisschen ausholen. Ralf und ich haben die Segelschule gekauft und unser Hobby zum Beruf gemacht, weil wir weniger arbeiten wollten als in unseren alten Berufen. Wir möchten die Schule nicht vergrößern, wir wollen keine Filialen eröffnen, wir streben keine riesigen Kurse mit 30 und mehr Teilnehmern an, wir möchten keinen gigantischen Bootspark aufbauen. Sondern einfach nur gute Qualität in schöner Atmosphäre und liebenswerter Umgebung bieten.

Dazu gehört, dass wir auch mit unserem privaten Segelvergnügen nicht zu kurz kommen. Und so gönnen wir uns seit wenigen Jahren den Juni ganz für uns, geben selber keinen Unterricht und segeln statt dessen zu zweit hinaus auf die Ostsee. Das ist unsere Auszeit, unser Vergnügen und jedes Mal Balsam für die Seele. Wir haben die Lebensphase erreicht, in der wir unsere Zeit so bewusst wie möglich nutzen möchten. Das gemeinsame Segeln auf unserem geliebten Boot, das Bummeln von Hafen zu Hafen, von Insel zu Insel, am liebsten hinauf nach Skandinavien, ist uns wichtig.

Diesmal fiel die Auszeit aus

In diesem Jahr haben wir darauf verzichtet. Dass unser Kurskalender für den Juni eigentlich leer war, hat uns geholfen, genügend Ausweichtermine für die im Frühjahr ausgefallenen Kurse zu planen. Statt zu entspannen, haben wir diesmal gerade im Juni auf Hochtouren gearbeitet. Und danach ging es mit Volldampf weiter. Die Corona-Situation hat uns die ganze Saison über viel Zeit und Kraft gekostet.

Keine Segelreise diesmal. Statt dessen kleine Auszeiten. Wie hier auf dem Balkon …
… am Strand von Freest …
… und mit meiner Freundin Susanne in Greifswald.

Kurs-Organisation: jedes Mal ein Abenteuer

Die Organisation unserer Kurse war jedes Mal ein Abenteuer. Wie viele Paare haben sich angemeldet, wie viele Menschen aus einem Haushalt? Denn die dürfen ja zusammensitzen, sowohl im Schulungsraum als auch auf dem Boot müssen wir da nicht auf den Mindestabstand achten. Oder sind lauter Einzelteilnehmer im Kurs? Dann ist der Kurs früher ausgebucht, wir können weniger Teilnehmer aufnehmen. So haben wir also ständig gerechnet, geplant, Tische und Stühle verschoben. Dazu die ganzen Formalitäten: Alle vor Kursbeginn noch mal anschreiben, auf Masken- und Handschuhpflicht hinweisen, eine Corona-Selbstauskunft einfordern. All das war zeitaufwändig; funktioniert hat es gut.

Bis Oktober läuft alles recht normal. Herbststimmung auf meiner Joggingrunde.
Motorbootprüfung auf der „Ina“ vor der Wolgaster Brücke. Auch hier immer mit Abstand.

Die neue Unverbindlichkeit – ein paar Worte über schwarze Schafe und warum ich sie nicht mag

Große Nachfrage und reduzierte Teilnehmerzahlen – in diesem Jahr mussten wir leider vielen Kursinteressenten absagen, die wir normalerweise noch hätten aufnehmen können. Das hat mir sehr leid getan, nicht nur für uns, sondern auch für die Menschen, die gern dabeigewesen wären.

Jetzt erzähle ich Euch etwas über die schwarzen Schafe unter unseren Kunden. Denn über die habe ich mich in diesem Jahr ganz besonders geärgert. Ich meine Leute, die einen Kurs buchen und uns dann drei Tage vorher – oft erst, nachdem wir uns wegen des baldigen Kursbeginns bei ihnen gemeldet haben – lapidar mitteilen: „Nee, ich schaffe das jetzt nicht, ich komme später mal zu einem anderen Kurs.“ Diese Leute gehen leider sehr oft davon aus, dass das nichts kostet, dass man den Kurs bei der Segelschule einfach so mal verschieben kann. Wir haben ihnen aber den Platz freigehalten und einem anderen Interessenten abgesagt. Der kann drei Tage vorher jetzt auch nicht mehr anreisen, der Platz bleibt also leer.

Kulanz war gestern, ich bin das Theater leid

Diese Art von Kulanz – einfach auf das Geld verzichten und den Teilnehmer kostenfrei in einen späteren Kurs aufnehmen – können wir uns nicht mehr leisten. Und ich muss ehrlich sagen: Ich will das auch gar nicht. Es kommt immer mehr so eine Unverbindlichkeit in Mode, so ein „Komm ich heut nicht, komm ich morgen“, ein „Mal sehen, ob ich heute Abend dabei bin oder vielleicht auch nicht, werdet ihr ja merken“, ein „Ich halte mir alles offen bis zum Schluss“. Ich bin dieses Theater leid. Unverbindlichkeit und Unzuverlässigkeit gehen mir auf die Nerven. Neuerdings schicke ich mit der Buchungsbestätigung immer einen Hinweis auf unsere AGB mit. Und auf die Stornofristen und anfallende Kosten. Wer nicht fristgerecht zahlt, dem reservieren wir keinen Platz. Es geht nicht anders, wir müssen wirtschaftlich arbeiten, gerade in diesen Zeiten.

Unsere Ausrüstung für 2021: Webcam und Mikro sind schon im Einsatz

Jetzt steht also wieder alles still. Wir sind im Lockdown – was jetzt im Winter für unsere Segelschule längst nicht so schlimm ist wie damals im Frühling – und planen für das nächste Corona-Jahr. Anmeldungen gibt es schon, das Interesse am Bootssport scheint nach wie vor groß zu sein. Natürlich haben wir dazugelernt, uns weiterentwickelt und auf die neue Zeit eingstellt. Webcam und Mikrofon sind längst bei uns eingetroffen und waren auch schon im Einsatz. Denn wir haben unsere ausgefallenen Novemberkurse zunächst auf Dezember verschoben und diese dann – wegen des andauernden Lockdowns – für alle Teilnehmer, die dazu Lust hatten, auf einen Internet-Live-Kurs umgestellt. Der lief sehr unproblematisch über Skype, und sowohl Ralf als Lehrer als auch die Kursteilnehmer waren davon angetan.

Über die Dokumentenkamera senden wir direkt auf die Computer der Kursteilnehmer:
Ralf zeigt die Seemannsknoten im Internet-Live-Kurs.

Diese Vorteile hat ein Internet-Live-Kurs

So ein Skype-Kurs hat ja durchaus Vorteile. Man spart sich die Anfahrt und bleibt statt dessen zu Hause. Je nach Wetterlage kann das im Winter sehr angenehm sein. Alles, was der Lehrer im Unterricht an der Tafel oder per Beamer zeigt, erscheint auf dem eigenen Bildschirm. Alle Arbeitspapiere werden einfach als Datei in die Skype-Gruppe gelegt.

Mein Schwedisch-Kurs in der Volkshochschule Greifswald findet auch wieder über Skype statt. Ich lerne dabei genauso viel, wie wenn ich in Greifswald in der Schule sitze. Natürlich ist es schön rauszukommen, die anderen Kursteilnehmer und den Lehrer persönlich zu treffen. Aber wenn das nicht geht, ist ein Internet-Live-Kurs immer noch tausendmal besser als gar kein Kurs.

Künftig kann jeder, der bei uns einen Präsenzkurs bucht, entscheiden, ob er den Theorieteil live vor Ort oder live übers Internet mitmachen möchte. Das hat einen großen Vorteil: Wenn im Unterrichtsraum kein Platz mehr frei ist, ist die Teilnahme am Internet-Live-Kurs immer noch möglich. Denn es wird ja dauern, bis die Menschen geimpft sind. Vor dem Ende des kommenden Jahres sehe ich nicht, dass wir auf Vorsichtsmaßnahmen und Mindestabstände verzichten können.

Corona ist in unserer Familie angekommen

Ende November ist Corona dann doch noch in unser Familienleben eingezogen. Nachdem wir das ganze Jahr über Glück gehabt hatten, gab es nun Corona-Fälle in dem Pflegeheim, in dem meine Mama wohnt. Das ganze Heim wurde unter Quarantäne gestellt, und dann wurde auch die Mami positiv getestet. Das war ein Schock, denn sie hat so viele Vorerkrankungen, dass sie gleich mehrfach zur Risikogruppe gehört.

Auf den Schrecken folgte eine phänomenale Entwicklung. Denn es passierte – nichts. Die Mami bekam keine Symptome, nicht mal die allerkleinsten Symptömchen. Und das, obwohl sie ein Lungenleiden hat. Das hat mich schon sehr überrascht, zumal ich von Menschen aus unserem Bekanntenkreis weiß, die unter ihrer Corona-Erkrankung sehr gelitten und auch lange danach noch zu kämpfen hatten.

Das schönste Weihnachtsgeschenk

Heute habe ich erfahren, dass die Mami jetzt wieder negativ ist. Das ist das schönste Weihnachtsgeschenk. Jetzt hoffe ich, dass ich sie bald wieder besuchen darf. Denn noch ist das nicht gestattet; die Quarantäne für das Heim gilt noch. Wie viele andere alte Menschen saß die Mama in den vergangenen Wochen tagein, tagaus allein in ihrem Zimmer. Und dort sitzt sie noch. Natürlich schauen die Pflegekräfte immer wieder bei ihr rein; sie hat also zwischendurch Kontakt zu anderen Menschen und freut sich darüber, dass diese immer so freundlich und nett zu ihr sind. Und wir telefonieren jeden Tag. Trotzdem freue ich mich, wenn die Isolation demnächst endet. Hoffentlich schon zu Weihnachten. Denn es wird ohnehin ein von Melancholie gestreicheltes Fest. Es ist das erste Weihnachten ohne meinen Papa.

Da ist es, das blaue Auge 🙂

Nun geht also dieses verrückte Jahr allmählich zu Ende. Das Besondere daran war für Ralf und mich das Verständnis und die viele Unterstützung durch unsere Kursteilnehmer, Freunde und Bekannten in der ersten Corona-Zeit. Dann die trotz allem herrlichen Sommerwochen. Und nun, zum Ende hin, das große Glück, dass bei der Mama Corona nicht ausgebrochen ist. Alles in allem war es so, wie wir es uns zu Beginn der Pandemie gedacht hatten: Wir sind erst mal mit einem blauen Auge davongekommen.

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2 Kommentare

  1. Ahoi,
    seit Anfang des Jahres verfolge ich fasziniert Deinen Blog und nun hat das lange Warten auf einen neuen Beitrag ein Ende. Mit Deinen Sätzen sprichst Du mir aus der Seele. Ich kann Eure Erlebnisse sehr gut nachvollziehen und könnte Vergleichbares schreiben.
    Ich wünsche Euch eine relaxte Winterzeit, um die inneren Akku´s für die kommende Saison zu füllen, eine schöne Weihnachtszeit & bleibt gesund. Freue mich bereits auf Deine nächsten Blog-Beiträge.
    VG, Steffen

    1. Hallo Steffen, vielen Dank für Deine netten Wünsche! Jetzt im Winter werde ich wieder mehr Blog-Beiträge schreiben – eben immer dann, wenn ich etwas zu erzählen habe. Im Sommer fehlt mir dazu die Zeit; außerdem gleichen die Wochen einander ja auch. Und ich möchte meine Leser ja nicht langweilen. 🙂 Liebe Grüße, komm gut durch den Winter!

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